Die Mutter aller Hoteltürme
Königlich auch ohne Gold: Das Royal SAS Hotel in Kopenhagen hat das Reisen verändert wie kaum ein anderes Hotel im 20. Jahrhundert. Als erstes Grand Hotel des Jet-Zeitalters machte es nicht nur Schluss mit dem rustikalen Plüsch der Vorkriegsjahre. Es wurde mit seiner Kombination aus schlankem Bettenturm und öffentlichem Sockelbau zum universellen Leitbild für Hotelprojekte rund um den Globus. Am 1. Juli feierte Arne Jacobsens Meilenstein seinen 50. Geburtstag.
Es gibt nur wenige Gebäude, die bereits bei ihrer Fertigstellung lautstark von sich reden machen. Als das Royal SAS Hotel am 01.07.1960 in Kopenhagen offiziell eröffnet wurde, entfachte es kaum weniger als ein Erdbeben am obersten Ende der Richterskala. Denn das, was sich dort auf siebzig Metern plötzlich über der Stadt erhob, war nicht nur eine gestalterische Sensation. Es war ein neues Lebensgefühl, das mit diesem Gebäude so präzise eingefangen wurde, dass es mit sofortiger Wirkung zum Standard in der Planung neuer Hotels erklärt wurde – und zwar weltweit.
Ikone der Moderne
Vergleichen lässt sich die Wirkung des Royal SAS mit den Grand Hotels der Jahrhundertwende wie dem 1898 eröffneten Ritz in Paris oder dem 1907 eingeweihten Hotel Adlon in Berlin. Auch dies waren Häuser, die mit ihrer Ausstattung (Bäder, fließend warmes Wasser und Telefone auf allen Zimmern) einen Standard setzten, der selbst in den nobelsten Wohnhäusern jener Zeit keine Selbstverständlichkeit war. Doch die Wirkung von Arne Jacobsens Hotel geht weit darüber hinaus. Auch wenn es sich bei diesem um ein Haus der Kategorie fünf Sterne handelt, blieben die üblichen Zeichen von Prunk und Repräsentation aus. Luxus wurde hier auf eine zurückhaltende und subtile Weise interpretiert. Man könnte auch sagen: auf eine demokratischere.
Denn das gestalterische Leitbild für diesen Bau waren nicht mehr die Adelspaläste, die noch die Hotels des bürgerlichen Historismus zu imitieren versuchten, sondern die Prinzipien der Moderne. Das Hotel sollte kein Ort des gediegenen Logierens sein wie einst das Ritz in Paris, das bis heute von seinen Stammgästen wegen seines intimen, wohnlichen Charakters geschätzt wird. Es sollte zu einem Ort der Durchreise werden, an dem seine Gäste verweilen, ihre Kräfte wieder auftanken und sich möglichst unkompliziert zurechtfinden sollten. Was diesen Bau prägte, war nicht nur das kosmopolitische Lebensgefühl der Nachkriegsmoderne und ihres International Style, sondern ebenso die Beschleunigung durch das gerade einsetzende Zeitalter der Jets.
Internationaler Maßstab
Es verwundert kaum, dass dieses Haus von keinem Hotelier der alten Schule in Auftrag gegeben wurde, sondern von einer gerade erst neun Jahre alten, schnell wachsenden Fluglinie. Vor allem auf den Routen nach Nordamerika erlebte die 1946 von Norwegen, Schweden und Dänemark gegründete SAS (Scandinavian Airline System) eine ständig steigende Nachfrage, die auch den Wunsch nach einer angemessenen Unterkunft für die internationalen Besucher in der dänischen Hauptstadt aufkommen ließ. Der schon früh bestimmte Name „Royal“ sollte übrigens ganz bewusst nicht als gestalterisches Sinnbild dienen, sondern – bei allen drei Gründungsstaaten der SAS handelt es sich schließlich um konstitutionelle Monarchien – den Vorzeigecharakter des neuen Gebäudes für die Airline unterstreichen. Es sollte nicht nur eine weithin sichtbare Visitenkarte im Zentrum der Stadt werden, sondern vor allem ein Zeichen des Aufbruchs.
Die Planung des Royal SAS begann bereits im Jahr 1955, als das dänische Ingenieurbüro Kampax den Auftrag für eine erste Studie für ein Hotel im Zentrum von Kopenhagen erhielt. Als Baugrund diente hierbei ein bisher leer stehendes Grundstück an der äußersten Ecke des Vergnügungsparks „Tivoli“, das in den Nachkriegsjahren als wilder Flohmarkt Bekanntheit erlangte und wegen seines länggezogenen, dreieckigen Grundrisses als schwer bebaubar galt. Der erste Vorschlag, den die Planer von Kampax in Anlehung an das 1952 in New Yorker fertig gestellte "Lever House" präsentierten, nahm bereits die Dimensionen des späteren Hotels vorweg: ein flacher, zweigeschossiger Unterbau für die öffentlichen Funktionen des Hotels – neben der Lobby sind dort ebenso ein Kongresszentrum, ein Café, ein Restaurant, ein Reisebüro der SAS sowie ein eigenes Busterminal untergebracht, von dem aus eine direkte Verbindung zum Kopenhagener Flughafen Kastrup besteht. Darüber eine schlanke Hochhausscheibe, die – von jeweils mittig angeordneten Korridoren erschlossen – die 275 Zimmer und Suiten des Hotels beherbergt und von einem Restaurant in der obersten Etage gekrönt wird.
Ganzheitliche Gestaltung
Dass Arne Jacobsen den Auftrag für die weitere Ausarbeitung des Entwurfs sowie dessen Umsetzung erhielt, muss im Nachhinein als Glücksfall gelten. Zwar hatte sich der dänische Architekt mit seinem 1942 fertig gestellten Rathaus von Århus bereits international einen Namen gemacht. Doch was er mit dem Royal SAS Hotel in Kopenhagen realisierte, ging weit über den Maßstab seiner Zeit hinaus. Denn Jacobsen entwarf nicht nur die äußere Form des Hotels, sondern jedes Detail der Innenräume: von den Leuchten über die Möbel zu den Bestecken bis hin zu den Fenstervorhängen. Dem Geist des Bauhauses verbunden, entstand ein gestalterisches Gesamtkunstwerk, das nicht nur Architektur-, sondern vor allem Designgeschichte schrieb. Mehr als ein ganzes Dutzend Designikonen – darunter die Klassiker „Ei“ und „Schwan“ für Fritz Hansen, die Steh- und Wandleuchte „AJ“ für Louis Poulsen oder das in Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ verwendete Besteck „AJ“ für Georg Jensen – wurden eigens für dieses Hotel entworfen.
Geometrie und Natur
Doch so klar und kristallin das Gebäudes mit seiner gläsernen Vorhangfassade und der rationalen Geometrie seiner Räume ausgeführt wurde: Die Einrichtungsgegenstände entwarf Arne Jacobsen organisch weich. Dass er Zeit seines Lebens ein passionierter Botaniker war, dürfte hierbei sicher eine Rolle gespielt haben. Der Strenge der Architektur setzte er einen ausgleichenden Kontrast entgegen, der den menschlichen Maßstab nicht außer Acht ließ. Denn im Gegensatz zu manch anderen Gestaltern der Moderne zeigen sich die Entwürfe von Arne Jacobsen weder kalt oder gar banal.
Die Zimmer und Suiten des Hotels waren ausgestattet mit umlaufenden Wandpaneelen aus Kiefer, Palisander oder Wengé-Holz, aus denen Nachttische, ein Schreibtisch, Spiegel sowie weitere Ablagen „herauswuchsen“, während sie unterhalb des Fensterbandes die Heizung und Lüftung auf schlüssige Weise verbargen. Markant zeigte sich auch die hellgrüne Farbe der Wände, der oberhalb der Fester ein hellblaues Band mitsamt hellblauen Vorhängen gegenüber gestellt wurde. Möbliert wurden die Zimmer neben einem filigranen Tisch, der in demselben Holz ausgeführt war wie die Paneele der Wände, und – das versteht sich hierbei fast von selbst – eine am Fester positionierten Sitzgruppe aus „Ei“ und „Schwan“.
Entgegen der Zeit
Doch so sehr Arne Jacobsen die Einrichtung als ganzheitlichen Entwurf konzipierte: wie bei jedem Gesamtkunstwerk liegt darin zugleich ein Problem. Denn die einzelnen Elemente sind derart aufeinander abgestimmt, dass sich keines von ihnen spurlos entfernen oder gar ersetzen lässt. Für ein Hotel, das in regelmäßigen Abständen renoviert und erneuert werden muss, ein nicht unerhebliches Problem, das letztlich auch zu dessen gestalterischem Aus geführt hat. Zwar sind sich die Betreiber des Hotels – das Royal SAS ging 2009 in der Hotelkette Radisson Blu auf – der Werbewirkung des Namens Jacobsen durchaus bewusst. Es hielt sie aber dennoch nicht davon ab, das Hotel in den späten neunziger Jahren grundlegend zu renovieren und den origialen Charakter auf unwiederbringliche Weise zu zerstören. Erhalten blieb die ursprüngliche Ausstattung der Räume lediglich in einer einzigen Suite auf der sechsten Etage. Ausgestattet mit der Nummer „606“ handelt es sich bei ihr um mehr als eine Zeitkapsel, in der der Originalzustand auf museale Weise archiviert wird. Bis heute kann das Zimmer weiterhin gemietet und als „bewohnbares“ Stück Designgeschichte dem Praxistest unterzogen werden.
Sieg des Mittelmaß
Warum die übrigen Räume einem weitaus weniger überzeugenden Intereurkonzept zum Opfer fallen mussten, verdeutlicht zugleich die Tragik des Hotelgeschäfts. Denn auch, wenn Arne Jacobsens Entwurf als Vorbild fast aller großen Hotelketten seiner Zeit diente, blieb die Präzision und Konsequenz seiner Gestaltung unerreicht. Während seine Vorstellung des Reisens dem Stil einer zurückhaltenden Moderne verbunden war, schlug die Realität unterdessen immer bizarrere Wege ein. Das Ergebnis: Viele Hotels, die in den sechziger und siebziger Jahren in der Formensprache der Moderne errichtet wurden, warten heute – nach unzähligen Eingriffen und Umbauten – mit einem plüschig-kitschigen Interieur auf, das an visueller Grausamkeit kaum zu überbieten ist. Mit gelben Wänden in Wischtechnik, imitiertem Deckenstuck, vergoldeten Türklinken und den unvermeidlichen blauen Teppichen im Eingangsbereich, die von goldgelben, königlichen Lilien gesprenkelt werden, soll den Gästen ein ebenso gefälliges wie austauschbares Ambiente geboten werden. Der International Style, der bei Jacobsen noch ohne Plüsch und biedere Behaglichkeit daherkam, ist zum Inbegriff des Mittelmaß geworden. Vielleicht – und das zeigt noch heute der Blick in die Suite „606“ – war Arne Jacobsen selbst unserer Zeit noch weit voraus.
Buchtipp:
Einen Einblick in die Geschichte des Royal SAS Hotels bietet eine umfassende Publikation mit dem Titel "Room 606", die der britische Autor Michael Sheridan im Phaidon Verlag veröffentlichte und den Originalentwurf von Arne Jacobsen wieder aufleben lässt. Diesen und weitere Titel finden Sie auch in unserer Bücherrubrik
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