Schöner wohnen?
Zugegeben: Hier könnte man entspannt den Abend verbringen. Verner Pantons poppige und farbenfrohe Installation „Phantasy Landscape. Visiona 2“, die irgendwo zwischen Möbelstück und Raum changiert, lädt ein zum Ausspannen, Kuscheln und Herumtoben. Probeliegen in diesem Gebilde aus den Swinging Sixties kann der Besucher in der Ausstellung „Interieur Exterieur. Wohnen in der Kunst“, die derzeit im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen ist.
Der Anspruch der Ausstellung ist hoch gesteckt: Anhand von 140 Exponaten soll das Wechselspiel zwischen Kunst und Design, Interieurmalerei und -gestaltung aufgezeigt werden – sozusagen eine versinnlichte Kulturgeschichte des Wohnens, wenigstens ausschnittweise. Dass dies eine kaum zu bewältigende Angelegenheit ist, wird beim Gang durch die Ausstellung schnell klar. Zwar wartet sie mit unzähligen historischen und zeitgenössischen und vor allem hochkarätigen Möbeln, Gemälden, Foto- und Videoarbeiten, Rekonstruktionen von Interieurs und Installationen von rund 70 Künstlern auf, aber viel kann eben auch schnell zu viel sein. Insbesondere, wenn nicht ganz klar ist, worum es thematisch eigentlich geht. Schon der Titel der Ausstellung ist doppeldeutig angelegt: „Wohnen in der Kunst“. Denn hier kann es zum einen darum gehen, wie das Wohnen in der Bildenden Kunst dargestellt wird, zum anderen, wie man inmitten von Kunst lebt.
Das Künstlerverzeichnis der Ausstellung jedenfalls liest sich wie ein „Who is who“ der internationalen Kunst- und Designszene der letzten 200 Jahre: Carl Blechen, Josef Hoffmann, Marcel Breuer, Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Arne Jacobsen, Roy Lichtenstein, Eerio Aarnio, Philippe Starck, Dan Graham, Zaha Hadid, Ronan und Erwan Bouroullec oder Matthias Weischer. Dieses Name-Dropping täuscht so manches Mal darüber hinweg, dass es gerade diese Masse ist, die zuweilen recht beliebig wirkt. Den Besucher beschleicht schnell das Gefühl, dass sich die Ausstellungskuratoren Markus Brüderlin und Annelie Lütgens zu viel vorgenommen haben: Nicht nur die Frage nach dem Innen und Außen und dem Wohnen als anthropologische Grundkonstante wollen sie beantworten, auch die komplexe Frage nach der wechselseitigen Durchdringung von Kunst und Design.
My home is my castle
Was die zu dreidimensionalen Interieurs zusammengestellten Arbeiten der Künstler aber auf jeden Fall aufzeigen, ist der Umstand, dass sich im privaten Wohnraum gesellschaftliche Normen, Sehnsüchte, Ängste und Utopien gleichermaßen spiegeln. Das eigene Heim ist der Rückzugsraum, die Abschottung zum Außenraum – hier wird Intimität groß geschrieben, Cocooning heißt das Gebot der Stunde. Im scheinbaren Widerspruch dazu steht der Repräsentationswille des Einzelnen, die Zurschaustellung des sozialen Status’ auf der Bühne des Wohnens. Dazu gehört auch, dass sich insbesondere in den 1950er Jahren der Innenraum nach Außen öffnet. Am sichtbarsten wird dieses Phänomen der Entgrenzung durch den Einsatz großer Glasfronten oder ganzen Glashäusern à la Mies van der Rohe, Philip Johnson oder Pierre Koenig: Der Innenraum scheint mit dem Umraum zu verschmelzen.
Parallel dazu hat in den letzten Jahren eine Privatisierung des öffentlichen Raums stattgefunden, die eng mit seiner Kommerzialisierung verknüpft ist. Dazu gehören auch die sogenannten Lounges, die es nahezu überall gibt: in Restaurants, Cafés, Clubs, Shops, Flughäfen oder beim Friseur. Dieses und andere Phänomene des Wohnens wie beispielsweise das Zusammenspiel von Innen und Außen oder das Wechselspiel von Interieurmalerei und gesellschaftlichen Gegebenheiten werden in der Ausstellung an beispielhaften Interieurs wie einem weißen Esszimmers von Henry van de Velde, dem Zen-Garten des Wolfsburger Kunstmuseums oder dem „Panic Room“ der Künstlerin Alexandra Ranner demonstriert.
Viele Fragen – wenig Antworten
Auf einem von Dieter Thiel gestalteten Parcours ermöglichen einzelne Kabinette interessante Ein- und Durchblicke. So kann der Besucher vor den visionären Gemälden der Romantik schwelgen, die Möbelentwürfe des Bauhauses betrachten, Mondrians Pariser Atelier durchschreiten oder die Wohnideen der Zukunft wie Werner Sobeks acht Meter lange Wohnkapsel „R 129“ bestaunen. Dass bei solch einer Übersichtsschau zwangsläufig eine – subjektive – Auswahl getroffen werden musste, verwundert nicht.
Wer jedoch in der Ausstellung eine intensive Beschäftigung mit den Problemen der Moderne erwartet, wird enttäuscht. So wird beispielsweise nicht nach den im 20. Jahrhundert fundamental veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen gefragt, obwohl diese großen Einfluss auf die Wohnkonzepte der Zeit hatten – man denke nur an Werkbund und Bauhaus. Die gesellschaftlichen Bedingungen des „Neuen Wohnens“ beispielsweise, in der die Position der Frau oder die Problematik der Massenproduktion eine wichtige Rolle spielten, fehlen völlig. Und so erscheint Mies van der Rohes Designklassiker „Barcelona Chair“ – das Paradestück der möblierten Elite – in der Wolfsburger Ausstellung nur als hübsche Dekoration und korrespondiert mit einem Gemälde Eric Fischls, auf dem der Sessel auf wundersame Weise in gemalter Form wieder auftaucht.
Jedoch sind die rekonstruierten Interieurs – gerade im Zusammenspiel von einzigartigen Möbelentwürfen und Kunstwerken – auch das Einzigartige dieser Schau. Als Raum im Raum präsentieren sich die einzelnen Ausstellungssequenzen. Von Adolf Loos’ „Villa Müller“ in Prag über Jasper Morrisons Ply-Chair-Installation „Some New Items for the Home I“ bis hin zu Donald Judds texanisches „Whyte Building“ in Marfa ist alles dabei. Judds Interieur beispielsweise wird nachgestellt durch eine schwarz-weiße Fototapete und dem Bemühen des Gestalters, den großen rechteckigen Ausstellungsraum durch sparsame Möblierungen wie einem Schranksystem von Marcel Breuer oder dem Gemälde „Gelbe Lampe“ von Matthias Weischer visuell nachzuempfinden. Damit soll auch die in den 1970er Jahre aufkommende Loftkultur verbildlicht werden – der White Cube lässt grüßen – bleibt aber unkommentiert. Nur eines kann das geschulte Auge erkennen: Dass es einen Zusammenhang geben muss zwischen der Loft-Bewegung und der Minimal Art der 1960er Jahre.
Apropos geschultes Auge: Besucher, die nicht im Design und den relevanten Diskussionen zuhause sind, bleiben allein gelassen, sinnvolle pädagogische Informationen gibt es in der Ausstellung nämlich gar nicht. Und so kommt schnell das Gefühl auf, dass es in diesem Wolfsburger Allerlei um rein ästhetische Fragen geht. Und so fügt sich die Ausstellung ein in den Reigen der alltäglichen Bilderflut.
Zur Ausstellung, die noch bis zum 13. April 2009 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen ist, ist ein Katalog erschienen:
Markus Brüderlin und Annelie Lütgens (Hrsg.):
Interieur Exterieur. Wohnen in der Kunst. Vom Interieurbild der Romantik zum Wohndesign der Zukunft.
Ostfildern (Verlag Hatje Cantz) 2008.