Die Designnomadin
Studiobesuch bei Jutta Werner vom Teppichlabel Nomad

Bonbonpapier, Fahrradreifen und Schaffellreste: Jutta Werner entwirft Teppiche aus Materialien, die andere wegwerfen. Wir haben die Hamburger Designerin in ihrem Studio in Eppendorf getroffen und uns von ihrem Faible für handgewebte Teppiche anstecken lassen.
Es ist ja nicht so, dass es keine Frauen im Teppichdesign gibt. Im Gegenteil: Seit Nani Marquina in den Achtzigerjahren die bis dahin verstaubte und männerdominierte Branche mit Designerteppichen aufmischte, hat sich viel getan. Es gibt einige erfolgreiche Unternehmen, die von Frauen geführt oder gegründet wurden, darunter Reuber Henning und Lyk Carpet aus Berlin. Doch wohl kein Label hat in letzter Zeit solch einen Senkrechtstart hingelegt wie Nomad.
Der Showroom von Nomad liegt in einer Altbauvilla im noblen Hamburger Stadtteil Harvestehude. Hier arbeitet die Designerin mit ihrem Team in einer Wohnung unter dem Dach. Foto: Robert Rieger
Shooting-Star
Erst vor zwei Jahren von Jutta Werner gegründet, kennt in der Designbranche inzwischen fast jeder das Label Nomad und seine Teppiche. Das überrascht nicht unbedingt. Zum einen, weil Werner in der Designbranche bestens vernetzt ist. Sie hat jahrelang freiberuflich für Hersteller wie Dedon, Rolf Benz und Ligne Roset als Interiordesignerin und Stylistin gearbeitet sowie Messestände und Showrooms gestaltet. Zum anderen, weil sie dem Textilen schon immer zugeneigt war, wie ihre Stationen bei JAB Anstoetz, Carpet Concept und Schlaraffia zeigen. „Ich war immer schon nomadisch unterwegs und habe in ganz verschiedenen Bereichen gearbeitet“, sagt die Designerin. Deshalb heißt ihr Studio seit 2008 Nomad und nun auch ihr Teppichlabel.
Fass! Mich! An! Der Coco Rug ist aus den Resten von Schaffellen gefertigt und sehr flauschig. Foto: Anna Daki
„Ich betrachte Themen ganzheitlich“, ergänzt Jutta Werner. Was man auch daran sieht, dass sie nicht einfach nur Teppiche entwirft, sondern sie in ein stringentes Designkonzept einbettet – samt Verpackung, Showroom-Gestaltung, Messeauftritt und Katalog. Mit dem Handwerk des Webens beschäftigt sich Werner seit rund zehn Jahren, seitdem sie erstmals nach Indien fuhr und für Dedon und JAB Anstoetz verschiedene Webereien besuchte. Als sie dann mit einem indischen Fotografen durch den Himalaya reiste, entdeckte sie zufällig Streifen von recyceltem Bonbonpapier, das dort als Paketschnur verwendet wird. Werner war so fasziniert von dem glitzernden Material, dass sie es mitnahm und zusammen mit einer Weberei überlegte, wie man es am besten zu einem Teppich verweben könnte.
... die knisternden, teils bunten Fransen fallen auf. Sie sind nämlich nicht wie üblich aus Wolle gefertigt, sondern bestehen aus up-gecyceltem Bonbon-Papier, das Jutta Werner im Himalaya entdeckte. Foto: Anna Daki
Bonbon c’est bon
Jutta Werner hat für ihr Label Nomad bisher drei Teppichkollektionen entworfen: Candy Wrapper Rug, Rubber Rug und Coco Rug. Allen gemein ist ihr subtiles Design. Wirken die Teppiche auf den ersten Blick beinahe unscheinbar, offenbaren sie bei näherem Hinsehen einen Wow-Effekt, der aus der Kombination ungewöhnlicher Farben, Materialien und Handwerkstechniken entsteht. „Die drei Kollektionen sind gleichzeitig drei Archetypen“, sagt Werner, die eigentlich Architektin ist. „So wie der Rubber Rug, der auch für den Outdoor-Bereich geeignet ist und mit seinen verwebten und recycelten Fahrradschläuchen sehr rough und architektonisch wirkt.“ Oder der Coco Rug, der durch die verwendeten Schaffellreste weich und flauschig wird, was mit den harten Fransen aus PVC kontrastiert. Und dann ist da noch der spielerische Candy Wrapper Rug, der Nomad zum Durchbruch verholfen hat. Weil er ziemlich extravagant ist mit dem recycelten, glitzernden Bonbonpapier aus dem Himalaya. „Zuerst hatte ich nur ein einziges Sample aus einem Schurwolle-Blend“, erzählt Werner. Das präsentierte sie kurzerhand 2018 auf der Domotex in Hannover, wo ein indischer Weber mit eigener Manufaktur ihren Teppich entdeckte und sich schockverliebte. Er produziert ihre Teppiche bis heute, was viel handwerkliches Geschick und Know-how erfordert.
In den atmosphärischen Altbauräumen mit handbemalten Wanddekorationen und knarzenden Holzböden kommen die Teppiche von Nomad besonders schön zur Geltung. Foto: Robert Rieger
Das andere Eppendorf
Dass Jutta Werner eine begnadete Geschichtenerzählerin ist, entdecken wir, als wir sie an einem schönen Sonnentag in ihrem Studio in Hamburg besuchen. Sie residiert mit ihrem Label im vornehmen Eppendorf – die Straßen hier sind gesäumt von blütenweißen Villen aus der Jahrhundertwende, Jeeps parken vor den Hauseingängen. Das Haus in der Oberstraße 82 ist auf den ersten Blick nicht ganz so Kensington like, dafür aber umso charmanter. Der Showroom von Nomad ist im ersten Stock untergebracht – knarzende Holzdielen, handbemalte Wände und Blick in den Garten inklusive. Ein wenig Shabby Look, ein wenig Tropical Style, ein paar Designtrouvaillen. Und mittendrin die Teppiche von Nomad, zusammengerollt in offenen Regalen, auf Stangen hängend, auf dem Dielenboden liegend. „Ich möchte, dass meine Teppiche einen Raum nicht nur optisch verschönern“, sagt Werner. „Sie sollen auch eine gute Energie erzeugen.“ Dass das ziemlich gut funktioniert, kann man auch im Dachgeschoss sehen, in dem das Office untergebracht ist und wo ein Candy Wrapper Rug mit dem Sessel Togo von Ligne Roset in Knallgelb harmoniert. Unter dem Dach übernachtet die 52-Jährige auch manchmal, wenn es wieder zu spät geworden ist, um noch zurück in ihr Architektenhaus südlich von Hamburg zu fahren. Dort lebt sie mit ihrem Mann, dem Industriedesigner Christian Werner, während die vier gemeinsamen Söhne inzwischen ausgezogen sind.
Der Rubber Rug trifft auf ein USM-Möbel in starkem Stahlblau. Foto: Robert Rieger
Mit Seelenverwandten
Jutta Werner mag das Spielerische, ist gern unterwegs und geht unbefangen und neugierig auf andere Menschen zu. So hat sie ihr Label Nomad im letzten Jahr auf den 3 days of design in Kopenhagen präsentiert und auch bei der Designausstellung Alcova während des Fuorisalone. Dabei hat Mailand ihr neue Türen geöffnet: Sie lernte Designstudios wie llot llov aus Berlin und MUT Design aus Valencia kennen, mit denen sie gerade an einem neuen Projekt arbeitet, das im Herbst fertig sein soll. Nur so viel verrät sie: Es werden keine Teppiche sein, dafür ziemlich ungewöhnliche Accessoires. Neben Designveranstaltungen ist es ein eigenes Format, das Werner besonders am Herzen liegt und das sie Soulmates genannt hat. Dafür bringt sie die Teppichkollektionen von Nomad mit Menschen und Labels zusammen, bei denen ebenfalls das Handwerk im Fokus ihres Tuns steht, die Sinn für Qualität und gute Gestaltung haben. Werner engagiert renommierte Fotograf*innen, es entstehen neue Bilder durch unerwartete Arrangements – eine clevere Form von Marketing, ebenso subtil und ästhetisch ansprechend wie ihre Teppiche. So hat Werner beispielsweise mit dem Schweizer Möbelhersteller USM kooperiert, dessen kühle, metallene Sideboards und Schränke gut passen zum flauschigen Coco Rug oder fast fancy wirken mit den silbern schimmernden Fransen des Candy Rubber Rug. Dass ihr das Handwerk besonders am Herzen liegt, zeigt Werners aktuellste Kooperation mit dem von Anita Hansen gegründeten Berliner Galerielabel hvíla editions. Erstaunlich, wie gut die in Äthiopien handgewebten Textilschirme der Leuchte Nebule von hettler.tüllmann oder der skulpturale Beistelltisch Notch von Dan Yeffet aus Bronze mit den Teppichen von Nomad harmonieren.
Ausgewählte Vintage-Objekte von Esther Strerath, Mitbegründerin der Plattform Playground_67, sind die Spielgefährten der auffälligen Teppiche Candy Wrapper Rugs von Nomad. Foto: Teresa Bozek
Passion und Durchhaltewillen
Alle drei Teppichkollektionen verkaufen sich gleich gut, erzählt Jutta Werner. Worauf die Designerin besonders stolz ist: Ihre Teppiche werden von jungen und alten Menschen gekauft, quer durch alle Gesellschaftsschichten, wobei 50 Prozent Sonderbestellungen sind. Nomad stattet auch Projekte wie beispielsweise Hotels aus. Doch was nach außen so mühelos wirkt, ist harte Arbeit. „Eine Marke aufzubauen, ist der reinste Wahnsinn“, sagt die Designerin. Was sie damit meint: den zeitlichen und vor allem auch finanziellen Aufwand, den Durchhaltewillen, den es braucht, ohne dass erst einmal viel Geld hereinkommt. Gerade in Zeiten, wo Lieferketten aufgrund von Pandemie und Ukraine-Krieg unterbrochen sind, Container und Rohstoffe sich laufend verteuern. Kein Wunder, dass viele Designer und Labels auf halber Strecke aufgeben. Doch Jutta Werner ganz bestimmt nicht – ihre Teppich-Design-Geschichte hat gerade erst Fahrt aufgenommen.
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