Den Steinen auf der Spur
Außen Archaik, innen schwarzweiß: Im Hotel Endémico Resguardo Silvestre im nordmexikanischen Valle de Guadalupe muss niemand befürchten, ein Fenster zum Hof zu erwischen. Die insgesamt zwanzig Bungalows, die das kalifornische Architekturbüro Gracia Studio entworfen hat, bieten schwebend leichte Refugien mit Aussicht auf die Reben des Weinanbaugebietes Baja California Norte.
Die Lohas haben wieder zugeschlagen. Konnten sie erst dem Fastfood hemmungslos die Geschwindigkeit rauben und das Auto kurzerhand in die Garage verbannen, nehmen sie nun eine weitere Ikone des modernen Lebens ins Visier: den anonymen, austauschbaren Hotelturm. Sind dessen Zimmer wie in einer Tabelle in stoischem Gleichklang übereinander gestapelt, sorgt die räumliche Dichte für ein quälendes, allmorgendliches Ritual: Das Warten auf den Fahrstuhl. Sekunden werden zu gefühlten Stunden, bis sich die Türen endlich zur Seite schieben und die Passage zum Restaurant oder hinab zur Rezeption beginnen kann.
Auf Aufzüge brauchen die Gäste des Hotels Endémico Resguardo Silvestre nicht zu warten und können sämtliche Wege einfach zu Fuß gehen. Denn ihre Zimmer wurden weder gestapelt noch aneinandergereiht, sondern wie von einem Tornado durch die Luft gewirbelt und sorgsam auf einem 40 Hektar großen Berghang abgesetzt. Ecoloft nennen die Betreiber ihre zwanzig Bungalows, die in lockerem Abstand zueinander über die Natur hinweg „schweben“, anstatt sie unter sich zu begraben. Ein Konzept, dass bereits in den Alpen erfolgreich getestet wurde und nun im Sierra-San-Pedro-Mártir-Gebirge seine Fortsetzung erlebt.
Steine am Hang
Die Idee des „dezentralen“ Gebirgshotels schlägt dabei zwei Fliegen mit einer Klappe: Der Eingriff in die Landschaft ist minimal, da die leichten Konstruktionen weder massive Fundamente noch aufwändige Erschließungen benötigen. Das spart Kosten und erhält den ursprünglichen Charakter der Umgebung. Die Gäste wiederum bekommen keine Wabe in einem Bienenstock mehr zugewiesen, sondern können sich in ihr privates Refugium zurückziehen – mit eigener Haustür und unverstelltem Blick ins Tal. Slow Tourism bedeutet schließlich nicht nur eine Entschleunigung der Reisezeit. Er begrenzt vor allem die Zahl der Teilnehmer, um die Wahrnehmung des Ortes zu intensivieren.
Große Gruppen würden auch schwerlich passen in das beschauliche Örtchen Valle de Guadulupe mit seinen rund 2.600 Einwohnen – rund zwanzig Kilometer im Norden der Stadt Ensenada unweit der US-amerikanischen Grenze. Die Region hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem respektablen Weinanbaugebiet gemausert, das zur Fiesta de la Vendimia, dem jährlichen Weinfestival im August, längst Gäste aus halb Nordamerika empfängt. Auch hier wird Qualität vor Masse gesetzt und gutes Essen ebenso wichtig genommen wie die geschmacklichen Nuancen der Weine.
Schwebende Refugien
Entworfen wurde das Hotel Endémico Resguardo Silvestre vom kalifornischen Architekturbüro Gracia Studio aus San Diego, das die zwanzig Bungalows um ein Restaurant, einen Weinkeller sowie ein großzügiges Schwimmbecken ergänzte, das sich sanft an den Berg schmiegt. Je zwei Bügel aus Corten-Stahl heben die rund zwanzig Quadratmeter großen Wohnmodule über den Boden hinaus in Richtung Tal. Ihre verrostete Oberfläche korrespondiert mit den erdig-braunen Farben des Berges, dessen sandiger Grund von Gräsern, Büschen und unzähligen Findlingen übersät ist.
Vor der Eingangstür zu jedem Bungalow liegt eine mit Holz beplankte Terrasse, die Platz für einen runden Esstisch, ein Sofa sowie einen Sessel bietet, die ebenfalls aus Holz gefertigt wurden. Ein Tonofen sorgt für atmosphärische Wärme, um den Abend bei einem Glas Rotwein ausklingen zu lassen – jedoch ohne von den anderen Gästen gestört zu werden. Die Architekten bewiesen Sinn für die Topografie des Grundstücks und platzierten die Bungalows so, dass die Terrassen jeweils auf der abgewandten Seite des Nachbarn liegen und direkter Blickkontakt vermieden wird.
Schwarz-weiße Kontraste
So rustikal und erdverbunden das Äußere der Ecolofts wirken mag, überraschen sie im Inneren durch stringentes Schwarz-Weiß. Die Wände sind mit glänzend schwarz lackierten Paneelen verkleidet, die den Panoramablick zum Tal in diffusen Reflektionen weiterführen und dem Innenraum Licht und Weite verleihen. Jalousien spannen sich vor den Fenstern von der Decke bis zum Boden und durchschneiden die Aussicht in schmale Bänder. Die weißen Schränke bieten genügend Platz für die mitgebrachte Garderobe, während das weiß bezogene Bett auf stiletto-dünnen Füßen im Raum schwebt, als wäre es eine Wolke.
Unter der Decke dreht ein weißer Ventilator seine Runden und sorgt für eine natürliche Abkühlung, statt die Bungalows mit Klimaanlagen in hermetisch verschlossene Kühlschranke zu verwandeln. Im Gegenteil: Die Haustür kann an der Außenseite der Fassade zur Seite geschoben werden, sodass innen und außen nahtlos ineinander übergeben. Wie eine Requisite aus einem Film Noir wirkt das Telefon aus schwarzem Bakelit, das auf dem Nachtisch thront und die einnehmende Ruhe dieses Ortes hoffentlich nie zu stören wagt.