Mit Gio Ponti träumen
Designhotel Palazzo Luce in Lecce
Die Sammlerin Anna Maria Enselmi hat einen Adelssitz im apulischen Lecce in ein Hotel verwandelt – und teilt darin ihre Preziosen mit den Gästen. In den sieben Suiten des Palazzo Luce treffen historische Raritäten auf Arbeiten zeitgenössischer Gestalter*innen. Über allem leuchtet ein Stern ganz besonders: der von Gio Ponti.
Sind Hotels die neuen Museen? Die Mailänder Sammlerin Anna Maria Enselmi macht an dieser Stelle einen nennenswerten Vorstoß. Anstatt die Ikonen der Designgeschichte, die sie in den vergangenen drei Dekaden zusammengetragen hat, ins Archiv zu stellen oder einer Institution zu übergeben, sind sie nun dort gelandet, wo sie im Grunde hingehören: im Alltag. Palazzo Luce heißt das Sieben-Suiten-Hotel in einem Palazzo aus dem 14. Jahrhundert, der einst von Maria d’Enghien, Königin von Neapel, bewohnt wurde. Er liegt im barocken Stadtzentrum von Lecce, nur wenige Schritte von der Piazza del Duomo und dem antiken Amphitheater entfernt.
Im privaten Garten mit Pool wachsen Palmen, Bananenstauden, Orangen- und Zitronenbäume. In den Innenräumen versammeln sich die Werke der Stars: Franco Albini, Carlo Mollino, Osvaldo Borsani, Ico Parisi, Ignazio Gardella, Ettore Sottsass und natürlich Gio Ponti, dem der Palazzo Luce gewidmet ist. In keiner Suite darf ein Werk des ornamentalen Modernisten fehlen, der 1970 mit der Concattedrale Gran Madre di Dio in Tarent zugleich sein wichtigstes Bauwerk in Apulien errichtet hat.
Multiple Perspektive
Die Gestaltung der Innenräume des Palazzo Luce übertrug Anna Maria Enselmi an drei Büros: Storage Associati aus Mailand, Giuliano Andrea Dell’Uva Architetti aus Neapel sowie den Südtiroler und Wahl-Londoner Martino Gamper. Letzterer hat den Frühstücksraum auf der Belle Etage gestaltet. Eigens für das Hotel gefertigte Tische und Konsolen ziehen mit keilförmigen Füßen und dreieckigen, blau-grünen Farbfeldern die Blicke auf sich. Sie korrespondieren mit jenen Sofas und Sesseln, die Gio Ponti in den Sechzigerjahren für das Hotel Parco dei Principi in Rom entworfen hatte und die nun in den Gastbetrieb zurückkehren. Gespeist wird auf einem Service, das von der Porzellanmanufaktur Richard Ginori eigens für den Palazzo Luce hergestellt wurde und das Motiv der dreieckigen Farbfelder weiterführt.
Londoner Doppel
Auch die Bar stammt von Martino Gamper und trägt sogar seinen Namen. Der große Tresen sowie die hoch aufragende Rückwand werden von rautenförmigen Farbflächen bestimmt, die teils mit matten, teils mit glänzend polierten Oberflächen aufwarten. In die Raumecken schmiegen sich kompakte Sofas, deren polygonale Sitzflächen und Rücken das geometrische Dekor des Tresens aufgreifen. Dazu kommen elegante, gebogene Wandleuchten der Londoner Designerin Bethan Laura Wood. Sie setzen einen zeitgenössischen Gegenpol zur Pracht der barocken Flügeltüren mit ihren sorgsam aufgearbeiteten Bemalungen sowie einem Lüster aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Barhocker warten mit wuscheligen Bezügen auf, die an zerzauste Perücken erinnern und diesem durchkomponierten Gesamtkunstwerk die nötige Imperfektion verleihen.
Lüster im Tiefflug
Farben und Muster sind auch in den Suiten allgegenwärtig. In der Suite Passaggi von Giuliano Dell’Uva sind die Wände mit gestreiften Stoffen in Weiß, Grau und Grün bespannt, die mit den Dekoren eines Schreibtisches und einer Konsole (beide aus Nussbaum und aus den 1930er-Jahren) korrespondieren. Hinzu kommen Leuchten von FontanaArte, die in den Dreißigerjahren unter der Artdirection von Gio Ponti entstanden sind. Für die Suite Maria D’Enghien, die ebenfalls von Giuliano Dell’Uva gestaltet wurde, fertigte der Künstler David Tremlett ein spiralförmiges Deckenfresko über dem Bett an. Ein schönes Detail: Die tief in einer Raumecke hängende Pendelleuchte von Hans-Agne Jakobsson aus den 1960er-Jahren, die einen warmen Lichtschimmer auf Stühle von Pier Giulio Magistretti und Sessel von Gio Ponti wirft.
Sonniger Boden
Für die Suite Fanciullino hat Storage Associati einen türkisfarbenen Paravent mit gelben Punkten entworfen, der die Farbigkeit der Bodenfliesen aus dem frühen 20. Jahrhundert aufgreift. Die Hommage an Gio Ponti treibt Giuliano Dell’Uva in den Suiten Blue Ponti und Rosso Ponti auf die Spitze. Dort sind die Böden mit Re-Editonen jener Fliesen verkleidet, die der Mailänder Architekt für seine Wohnung in der Via Dezza entwarf. Das Dreiecks-Dekor wird jedoch nicht – wie im Original – in einer blauen, sondern in einer gelben Farbpalette reproduziert, um den Räumen zusätzliches Licht zu verleihen. Ein Kniff, der zugleich den Namen des Hotels (Palazzo Luce = Palast des Lichts) erklärt. Beide Ponti-Suiten haben direkten Zugang zur weitläufigen Dachterrasse des Hotels mit Blick über die Stadt.
Kulinarischer Leseraum
Ein Treffpunkt für die Gäste ist das in Blautönen gehaltene Wohnzimmer mit einem Schreibtisch, den Gio Ponti für seine Tochter Lisa entworfen hat. Darüber hängt eine Pendelleuchte von Konstantin Grcic, die an ein stark vergrößertes Laborlicht erinnert. In einem um drei Stufen abgesenkten Raum können die Gäste auf Sesseln von Ico Parisi Platz nehmen, die ebenfalls in einem dunklen Blau gehalten sind. Das Abendessen wird in der Bibliothek mit Blick auf den ruhigen Innenhof serviert. Sie diente einst als Arbeitszimmer von Luigi de Sècly, dem Herausgeber der Zeitung Gazzetta del Mezzogiorno. Bis heute hat sie ihre ursprüngliche dunkle Holzvertäfelung bewahrt, die dem Raum einen warmen Charakter verleiht. Acht Personen können an einem großen Tisch aus dem 19. Jahrhundert Platz nehmen. Dieser ist mit handbemalten Majolika-Fliesen verkleidet, die die Jahreszeiten thematisieren.
Begehbare Märchen
Eine wichtige Rolle spielt im Palazzo Luce die Kunst. Anna Maria Enselmi wusste gleich, wen sie um Hilfe bitten musste: keine Geringere als die Mailänder Top-Galeristin Lia Rumma. Die zögerte nicht lange, kam mit einer Auswahl an Werken von Marina Abramović, William Kentridge, Thomas Ruff und anderen und verbrachte viele Stunden mit der Hängung. Einige Werke sind als Auftrag für das Hotel entstanden, darunter ein Teppich von Joseph Kosuth im großen Saal (dem einstigen Musikzimmer) mit Zitaten aus dem Märchen Des Kaisers neue Kleider von Hans Christian Andersen oder figürliche Zeichnungen des Modedesigners Antonio Marras in der Luce-Suite.
Sehnsucht nach Meer
Wenn es die Gäste des Palazzo Luce ans Meer zieht, können sie die „Dependance“ besuchen: Die ebenfalls von Anna Maria Enselmi umgebaute Villa Jolanda im kleinen Küstenort Castro Marina. In dem Bau aus dem 19. Jahrhundert liegt der Schwerpunkt auf Ettore Sottsass und der Memphis-Gruppe, die mit Arbeiten heutiger Gestalter*innen – wie Ron Gilad, Fernando und Humberto Campana oder die Bouroullec-Brüder – kombiniert werden. Der spektakulärste Ort ist zweifelsohne die große Terrasse mit Blick auf das Adriatische Meer, wo die Gäste auf Schaukelliegen von Ico Parisi Platz nehmen können. Auch dort ist das Ergebnis eine Mixtur aus Exzellenz, die jedoch so nonchalant daher kommt, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. Vielleicht sieht so die Museumserfahrung der Zukunft aus?
Projekt | Palazzo Luce |
Typologie | Hotel |
Ort | Lecce, Apulien, Italien |
Besitzerin | Anna Maria Enselmi |
Interieur | Storage Associati, Giuliano Andrea Dell’Uva und Martino Gamper |
Größe Innenräume | 1.500 Quadratmeter |
Größe Außenräume | 660 Quadratmeter |
Zimmerzahl | 7 |