Elbblick inklusive
Bauhaus-Gebäude und Meisterhäuser sind besichtigt, jetzt dürstet dem emsigen Dessau-Besucher nach etwas Kulinarischem, am liebsten mit Ambiente. Nun, dies ist hier nicht schwer zu finden: Nur wenige Minuten zu Fuß von den Ikonen der Bauhaus-Moderne entfernt, liegt ein Restaurant, das wahrlich Ambiente bietet. Das „Kornhaus“ – idyllisch in einer Elbschleife mit Sicht auf endlose Wiesen des Biosphärenreservats Mittlere Elbe situiert – befindet sich in einem Gebäude des Gropius-Schülers Carl Fieger aus den späten zwanziger Jahren. 1994 bis 1996 wurde es umfassend und denkmalgerecht saniert und komplett mit Re-Editionen von Bauhaus-Klassikern ausgestattet.
Seit dem 18. Jahrhundert stand an dieser Stelle im Elbbogen in Dessau-Roßlau ein Getreidespeicher – daher der Name des Restaurants – ehe dieser 1871 abgerissen und in einem alten Forsthaus nebenan eine einfache Schankwirtschaft entstand – das Ausflugsziel der Dessauer war geboren. Nachdem die Stadt das Gebäude 1926 erworben hatte, schrieb die Stadtverwaltung 1929 einen Wettbewerb zur Errichtung einer neuen Ausflugsgaststätte aus und nun musste auch die alte Schankwirtschaft weichen.
Wettbewerb um einen Vergnügungsbau
Carl Fieger (1893 – 1960) – der bereits bei Peter Behrens und Walter Gropius gearbeitet hatte und auch Lehrer am Bauhaus war, aber immer im Schatten seiner Architektenkollegen stand – erreichte im ausgeschriebenen Architekturwettbewerb aus insgesamt 21 eingereichten Entwürfen zusammen mit dem Architekten Hermann Baethe zwar keinen vorderen Platz, erzielte aber einen Ankauf des Entwurfs. Aufgrund der geringeren Baukosten von 130.000 Reichsmark gegenüber den eigentlichen Preisträgern wurde Fiegers Entwurf umgesetzt. Finanziert von der Schultheiss-Patzenhofer-Brauerei, öffnete das neue Wirtshaus am 6. Juni 1930 seine Pforten. Dabei handelte es sich um einen kompletten Vergnügungskomplex mit Tanzhalle, Café, Stehbierhalle und zwei Außenterrassen.
Wie die Geschichte spielt
Das „Kornhaus“ hat seit seiner Eröffnung eine bewegte Geschichte aufzuweisen: 1938 wurde die Gaststätte geschlossen und zum Behelfskrankenhaus umfunktioniert, im Zweiten Weltkrieg diente sie als Lazarett, um dann in den Fünfziger Jahren wieder als Gaststätte zu fungieren. Erst nach der Wende jedoch wurde man dem Hauptwerk von Carl Fieger gerecht und sanierte dieses seltene, noch erhaltene Beispiel eines Restaurants aus der Zeit des „Neuen Bauens“ komplett. Und so kann der Besucher heute wieder das Flair der zwanziger Jahre in einem Gesamtkonzept aus Außenraum, Architektur und Interior-Design atmen.
Geometrie, Flachdach und Glas – es grüßen die Zwanziger Jahre
Da das „Kornhaus“ direkt am Elb-Schutzwall liegt, musste dieser beim Entwurf vom Architekten berücksichtigt werden. Fiegers Lösung gestaltet sich heute folgendermaßen: Nähert sich der Besucher dem „Kornhaus“ von der Stadt her kommend, erblickt er zuerst ein zweistöckiges, rechtwinkelig angelegtes Gebäude mit einem angeschlossenen, verglasten Rundbau, der zum großen Restaurant gehört. Im Untergeschoss des rechteckigen Hauptbaus waren ursprünglich eine Stehbierhalle, die Garderobe und die Toiletten untergebracht. Erklimmt man die Treppe nach oben, wandert der Blick in den eigentlichen, großzügig gestalteten Gastraum, der durch einen, über die gesamte Fläche verlegten Teppich der Bauhaus-Schülerin Gertrud Arndt mit geometrischem Muster besticht. Die Küche des „Kornhauses" fungiert als Verteilersystem zwischen den oberen Gasträumen, ihr ist außerdem ein u-förmiges Büffet vorgelagert.
Kommt man über die Treppe vom Untergeschoss nach oben, kann man aber auch – zumal bei schönem Wetter – gleich heraus auf die Terrasse treten. Sie wurde genau auf der Wallkrone platziert, von der man einen wunderbaren Blick auf den Fluss und die ihn umgebende Landschaft genießt. Das „Kornhaus“ ist – wie nach der Architekturauffassung des Bauhauses üblich – mit einem Flachdach versehen und setzt sich aus verschiedenen Baukörpern zusammen. Diese basieren auf den geometrischen Formen Rechteck und Kreis. Errichtet wurde das „Kornhaus“ in einer Mischbauweise aus Ziegelmauerwerk mit Stahlbetonstützen, Fenster und Türen wurden in Kontrast zu den ursprünglich gelben Außenwänden blau gestaltet.
„Die Menschen schaffen das Interieur und nicht die Einrichtung.“
Mit Liebe zum Detail wurde auch die ursprüngliche und gut dokumentierte Inneneinrichtung wiederhergestellt. Gleichzeitig nehmen auch alle heutigen Accessoires Bezug auf die Entwürfe der Tischkultur der Bauhaus-Zeit: Bierkeller, das Rückbüfett sowie Zapfhahn, Fußbodenkacheln, Farben, Tapeten, Bilder, Lampen, Parkett, Teppichböden, Thonet-Stühle, Tischwäsche, Gardinen, Kaffeetassen, Salz- und Pfeffermenagen, Aschenbecher, Besteck, Teeservice, Künstlerteppiche, Türklinken, Teedosen, Fruchtschalen, Blumenvasen, Essig- und Ölmenagen und sogar die Garderobenständer passen in die Entstehungszeit des Restaurants.
Speisen à la Bauhaus
Und da verwundert es auch nicht, dass sogar die Grafik der Speisekarte nach Bauhaus-Prinzipien gestaltet wurde. Neben lokalen Speisen findet man dort auch ein spezielles Mazdaznan-Menü mit Säften, Salaten und Gemüse, das an die Entstehungszeit des „Kornhauses“ erinnert. Denn die Hochblüte des Vegetarismus erfasste in den zwanziger Jahren auch das Bauhaus. Dabei war Mazdaznan eine besondere Ausprägung des Vegetarismus, eine psychobiologisch-spirituelle Reform, die nicht nur eine strenge Diät, sondern auch das Singen von bestimmten Liedern und einen Erkennungspfiff umfasste. Sogar ein Mazdaznan-Kochbuch gab es: Darin finden sich Rezepte für außergewöhnlich klingende Gerichte wie Nerven-Brot, Graupen-Wurst oder Isländisch-Moos-Pudding. Diese sollten aber nicht nur schmecken, sondern zugleich eine Reinigung des Körpers bewirken. Wer Lust hat, kann im „Kornhaus“ also ganz und gar in die Bauhaus-Welt eintauchen.
Sommerfrische an einem Sonntag
Einen Nachmittag auf der Terrasse des „Kornhauses“ zu verbringen – das ist wie in einer anderen Zeit. Und danach mit dem Drahtesel auf dem Elbwall entlang radeln oder gleich mit dem Dampfer von der Anlagestelle losfahren. Und bei Regen? Geht der Blick vorbei an der berühmten Bauhaus-Leuchte von Wilhelm Wagenfeld durch die großen Fenster der Veranda auf die Wassertropfen, die leise auf die Oberfläche der Elbe fallen.
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