Römische Patina
Ausgestattet mit Möbeln italienischer Meister aus den dreißiger bis siebziger Jahren: das G-Rough-Hotel in Rom
Das neueröffnete G-Rough-Hotel in Rom liegt nur wenige Meter vom quirligen Treiben der Piazza Navona entfernt. Weiße Wände und charakterloses Mobiliar sind in den zehn Suiten nicht zu erwarten. Ausgestattet mit Möbeln italienischer Meister aus den dreißiger bis siebziger Jahren, entstand ein Ort mit Atmosphäre, wo Kunst, Klassiker und Patina zusammentreffen.
Es begann mit einer Party. Und zwar mit einer ziemlich wilden. Schon seit Jahrzehnten gehört das fünfetagige Stadtpalais an der Piazza di Pasquino einer angesehenen römischen Familie. Von den Fenstern der oberen Etagen ist die Kuppel der Kirche Sant’Agnese in Agone zu erkennen, die nur wenige Meter entfernt an der Piazza Navona liegt. Lange hatten die Jüngsten der Familie das Haus bewohnt. Doch weil ihnen auch andere schöne Orte gehören, stand das Gebäude in den vergangenen Jahren immer häufiger leer.
Abrissparty Deluxe
Den umtriebigen Familienspross Gabriele Salini brachte dies auf eine Idee: Ein kleines Hotel sollte in dem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert entstehen, das den Charme eines wirklichen Zuhauses weiterhin beibehält. Die längst erwachsenen Kinder feierten mit ihren Freunden ein rauschendes Fest, eine Abrissparty Deluxe, von der sich bis heute noch einige Spuren im G-Rough finden. So heißt das nun eröffnete Hotel, das seinen Anfangsbuchstaben dem von Philippe Starck gestalteten Schwesterhotel PalazzinaG in Venedig verdankt. Auch dieses wurde von Salini initiiert – wenngleich er nun mit der Architektin Giorgia Cerulli und seinem Geschäftspartner Emanuele Garosci stilistisch eine andere Richtung einschlug.
Räumliche Tiefe
Es sind die Schichten der Geschichte, die sich in den zehn Suiten zu einer gemischten Patina überlagern. Die Rolle des Erzählers übernehmen vor allem die Wände. Abgelöster Putz offenbart weitere, noch tiefer liegende Farbschichten. In einigen Räumen treten Fresken hervor. Die rauen, scheckigen Wandoberflächen spielen ein doppeltes Spiel. Sie erzeugen räumliche Tiefe und weben das Gefühl des Provisorischen mit ein. Die kühle Distanz, die perfekt durchkomponierten Räume normalerweise innewohnt, weicht so dem beruhigenden Gefühl von Vertrautheit – selbst man die Räume zum ersten Mal betritt.
Neutrale Pufferzone
Nicht ganz unschuldig an dieser Wirkung sind die weiteren Zutaten. Die hölzernen Rahmen und Klappläden der hohen Fenster warten ebenfalls mit abgeschmirgelten Oberflächen auf und vermeiden den Eindruck klinischer Perfektion. Auch die offen liegenden Deckenbalken, die teils von originalen Bemalungen aus dem 18. Jahrhundert überzogen sind, bringen die Raumgrenzen zum Sprechen. Wie ein Kontrapunkt zu den warmen Texturen in den Wohn- und Schlafzimmern wirken die Flure sowie der zentrale Hauskorridor. Glattgeputzte Wände erzeugen eine neutrale Passage, die die Sinne beruhigt und eine Art Pufferzone zwischen Innenraum und Außenwelt einrichtet.
Ortsspezifische Interventionen
Eine entscheidende Aufgabe fällt der Kunst zu, die ortsspezifisch von 20 Künstlern umgesetzt wurde – teils als Performance noch während der Abrissparty oder später: in der zwölfmonatigen Umbauzeit. So findet sich im Treppenhaus das großformatige Wandgemälde Trasloco metafisico von Marino Melarangelo, während Gianni Piacentini in glimmenden Neonbuchstaben die Nummerierung der Etagen auf den Kopf stellte: Sie zählt wie ein Countdown in Richtung Himmel nach unten. Auch Gabriele Salinis Schwester Guendalina war beteiligt. Sie fertigte verschiedene Wandreliefs an – darunter auch in ihrer früheren Wohnung auf der ersten Etage.
Namen statt Ziffern
Jede Suite verfügt über ein großzügiges Wohnzimmer mit rundem Esstisch, an dem das Frühstück in privatem Rahmen erfolgen kann. Die Möbel wurden vom Hausherrn über Auktionshäuser, Antiquariate und Flohmärkte eigenhändig zusammengetragen und datieren zwischen den neuzehnhundertdreißiger und -siebziger Jahren: der Geburtsstunde des italienischen Designs. Stühle und Tische von Osvaldo Borsani treffen auf Sekretäre und Nachtschränke von Gio Ponti. Fast in jeder Suite sind Leuchten von Gino Sarfatti und seiner Firma Stilnovo zu bewundern, während Namen wie Ico Parisi, Tobia Scarpa, Guglielmo Ulrich und Achille Castiglioni nicht fehlen dürfen. Die Meister umgeben die Gäste nicht nur mit ihren Arbeiten, sondern ebenso mit ihrem Konterfei. Anstelle einer Ziffer tragen die Suiten den Vornahmen eines Designers – an den Zimmertüren grüßen von Marco Raparelli gezeichnete Portraits.
Zeitliche Mischung
Eine Ausnahme vom zeitlichen Fokus auf die vorherige Jahrhundertmitte bilden die großformatigen Sofas, die Giorgia Cerulli zusammen mit Gabriele Salini und Emanuele Garosci neu entwarf. Im Schlafzimmer werden die zeitlichen Regler dagegen wieder zurückgefahren. Die vor Kissen kaum zu erkennenden Betten werden teilweise von weich abgerundeten, goldenen Bilderrahmen eingefasst, die im späten 18. Jahrhundert für eine Fürstenresidenz in Apulien angefertigt wurden. Eine Mischung aus Zukunft und Vergangenheit offenbaren die Badezimmer, die, wie die zur Straße geöffnete Lobby-Lounge, vollständig mit bronzefarbenen Spiegelfließen ausgekleidet sind.
Das Ergebnis ist kein Sammelsurium der üblichen Verdächtigen. Stattdessen wurde eine hochkarätige Sammlung italienischen Designs unter einem Dach vereint, die an diesem Ort und in dieser Stadt sinnvoll ist. Ikonen finden sich trotz der bekannten Namen nur wenige unter den Arbeiten. Doch genau das macht auch den Reiz des Konzeptes aus. Während in der PalazzinaG die Handschrift Starcks an jeder Stelle unverkennbar ist, hat hier ein gemischtes Dreier-Team etwas ungleich Schwierigeres erreicht: ein Zuhause auf Zeit, das sich tatsächlich wie ein Zuhause anfühlt.