Glitzernde Inspiration
Die diesjährige Design Miami/Basel konnte mit einem neuen Rekord aufwarten: Mehr als 20.000 neugierige Besucher zog es trotz hochsommerlicher Temperaturen in Halle 5. Unter Umständen fühlte sich der ein oder andere beim entspannten Flanieren jedoch ein wenig beobachtet – von den „Riesenaugen“ des Designerduos Fredrikson Stallard. Die neue Installation der beiden Londoner mit dem Titel Iris, bestehend aus vier dem menschlichen Auge nachempfundenen Skulpturen, war - nahezu im Wortsinn - ein Blickfang der Messe. Um den gewünschten Effekt aus altertümlicher Anmutung und schimmerndem Glanz zu erreichen, verliehen Patrik Fredrikson und Ian Stallard der Metallfassung anhand von Blattgold und Rost eine natürliche Patina, um anschließend über 600 handgeschliffene Kristalle von Swarovski einzufügen.
Für den Kristallhersteller bedeutet diese Kooperation eine Premiere auf der Design Miami/Basel – als Teilnehmer ebenso wie als einer der Hauptsponsoren. Fernab der Kunstszene ist Swarovski wahrscheinlich der bekannteste Markenname, wenn es um glitzernde Kristalle und opulente Pracht geht. Gleichgültig, ob kleine Geschenkartikel oder prächtige Lüster, reich geschmückte Weihnachtsbäume oder ein funkelnder Vorhang für die Oscarverleihung – die menschliche Sehnsucht nach Glanz und Glamour wird in jedem Fall gestillt. Die Erfolgsgeschichte begann vor über hundert Jahren, als Tüftler und Firmengründer Daniel Swarovski von Böhmen nach Tirol zog, um sich mit seiner neu erfundenen Kristall-Schleifmaschine im Dorf Wattens niederzulassen. Die Zentrale inmitten alpiner Idylle hat das Familienunternehmen beibehalten, seine Mitarbeiterzahl allerdings wesentlich erhöht: auf mittlerweile an die 25.000 weltweit. Auch der Marktfokus hat sich seither gewandelt und die familiäre Geschäftsleitung in nunmehr vierter und fünfter Generation pflegt eine intensive Zusammenarbeit mit Künstlern, Designern und Architekten.
An der Schnittstelle zur Kunst
2002 lancierte Swarovski auf der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile zum ersten Mal das neue Projekt Crystal Palace. So namenhafte Designer wie Hella Jongerius, Paola Navone, Georg Baldele, Nigel Coates und Tord Boontje präsentierten ihre Neuinterpretationen des klassischen Kronleuchters. Die Gestalter genossen in ihrem Entwurfsprozess sowohl absolute kreative Freiheit als auch uneingeschränkte Auswahl im gesamten Kristallsortiment – nicht zu vergessen die auf langjähriger Erfahrung basierende technische Unterstützung. Obwohl Crystal Palace von Anfang an für optische Überraschungen gesorgt hat, waren zu Beginn des Projekts die Entwürfe noch deutlich als Leuchten und somit Gebrauchsobjekte erkennbar. Über die Jahre sind nun mehr und mehr Installationen entstanden, die die Grenze zwischen Design und Kunst verschwimmen lassen und einen ganz neuen Blick auf den Kristall als Gestaltungselement eröffnen.
Extravagante Formensprache
Seltsam anmutende Kreaturen bevölkerten den Stand von Swarovski auf dem London Design Festival 2007. Der italienische Architekt und Designer Gaetano Pesce, berühmt wegen seiner außergewöhnlichen und humorvollen Möbelentwürfe für Cassina, ließ sich von der zuweilen beinah außerirdisch wirkenden Ästhetik der Quallen inspirieren. Seine Leuchte Mediterraneo besteht aus 140 Kristalllitzen mit jeweils 87 Swarovski-Kristallen. Sie wurde dahingehend programmiert, die langsamen und eleganten Bewegungen der schwerelosen Unterwasserwesen zu imitieren. Die LED-Ketten hinter den Kristallen wechselten die Farbe einmal quer durch das gesamte Spektrum und tauchten die Leuchte und ihre Umgebung in unterschiedliche Stimmungslichter.
Viel irdischer wirkte hingegen der Entwurf der Brüder Fernando und Humberto Campana. Prived Oka ist eine Leuchte, wie sie wohl nur die beiden brasilianischen Designer hätten gestalten können. Gemäß ihrer Gewohnheit, sich von der Poesie des Alltäglichen inspirieren zu lassen und gewagte Mischungen aus gefundenen Materialien zu kreieren, haben sie die Kristalle von Swarovski mit wirrem Raffiabast kombiniert. Das Ergebnis ist ein überraschend lebendig wirkendes Objekt – Prived Oka vermittelt ein wenig den Eindruck, er könnte jeden Moment in Bewegung geraten, um in seinen Wald oder seine Höhle zurückzukehren.
Im Dezember desselben Jahres, während der Design Miami, machte das interdisziplinäre Architektenteam Diller Scofidio + Renfro aus New York mit seiner Installation Various Light Socks von sich reden. Light Sock, ihre Neuinterpretierung des traditionellen Kronleuchters, besteht aus einem Beutelnetz prall gefüllt mit Swarovski-Kristallen. Eine einzelne Halogenleuchte strahlt durch die Kristallmasse und bewirkt so ein facettenreiches Lichtspiel. In großer Anzahl kombiniert, bildeten die Various Light Socks eine wirkunsgsvolle Inszenierung, die die langjährige Erfahrung der drei Gestalter im Bereich der darstellenden und visuellen Künste verriet.
Wissenschaft als Muse
2009 sorgte Swarovskis Zusammenarbeit mit Arik Levy für große Verblüffung auf dem Salone Internazionale del Mobile. Besucher, die in Erwartung einer neuen Leuchtenpräsentation zur Mailänder Messe kamen, wurden von einer gleichermaßen künstlerischen wie wissenschaftlichen Installation überrascht. Der multidisziplinäre Designer aus Paris hatte seinen Entwurf Osmosis unter einem technischen Blickwinkel gestaltet. Dabei war er vor allem seiner Faszination für die absolute Präzision hinter der Kristallherstellung gefolgt und hatte sich mit dem sogenannten Chaton- oder Diamantschliff auseinandergesetzt. Anstelle einer neuen Leuchte schuf er so eine erlebbare Metapher, die den Betrachter an seiner Faszination teilnehmen ließ.
Einen ähnlich wissenschaftlichen Ansatz verfolgte auch der japanische Designer Tokujin Yoshioka, dessen Arbeit auf dem chemischen Entstehungsprozess des Kristalls in der Natur basierte. Unter dem Titel Stellar installierte er auf der Mailänder Möbelmesse 2010 ein Becken mit einer Minerallösung, in der der Leuchter auf organische Weise wuchs. So konnte man das Kristallobjekt in seiner Entstehung neben dem fertigen Produkt an der Decke bestaunen.
Seine Mitstreiter Gwenael Nicolas, Yves Béhar und Rogier van der Heide setzten sich vor allem mit dem atmosphärischen Zusammenspiel von Kristall und Licht auseinander. Letzterer sah sich inspiriert vom natürlichen Ursprung des Kristalls und seiner Fähigkeit, Licht zu reflektieren. Dream Clouds ist eine entsprechend träumerische und poetische Lichtinstallation.
Die Londoner Designer von Troika beschäftigten sich in ihrer Installation Falling Light mit den von Swarovski produzierten Kristalllinsen und ihrer Eigenschaft, einen außergewöhnlich präzisen und reinen Regenbogen-Halo – einen farbig vibrierenden Lichtring – entstehen zu lassen. Falling Light tauchte die Besucher der Design Miami/2010 in ein tanzendes Lichtermeer – hervorgerufen durch 50 computergesteuerte „Leuchtarme“ an der Decke. Jeder einzelne „Leuchtarm“ verfügte über eine auf Maß geschliffene Linse, die das Licht der verwendeten LEDs brach und in atmosphärische Leuchtkreise verwandelte. Für die Designer war die aufwändige Technik allerdings nur Mittel zum Zweck, um die Poesie des Lichts sichtbar werden zu lassen.
Grund zur Vorfreude
Weit gefehlt also, wer bei Kristallen noch immer ausschließlich an Schmuck, Luxusartikel oder gar Kitsch denkt. Swarovski hat die glitzernden Steine längst zu Kunst- und Designobjekten werden lassen und durch seine kreativen Kooperationen frischen Wind in das traditionelle Unternehmen gebracht. Die Besucher der internationalen Kunst- und Designmessen dürfen gespannt auf weitere kreative Projekte zum Thema Kristall sein.