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Wohnratgeber 3: Die kleine Wohnung

von Norman Kietzmann, 27.02.2013


Der dritte Teil unseres Wohnratgebers führt geradewegs in die Wirklichkeit: In die kleine – oder besser gesagt – zu kleine Wohnung. Wie lässt sich ihr beschränkter Platz besser nutzen? Für Designer und Hersteller ist der kleine Raum die Probe aufs Exempel. Schließlich geben in weitläufigen Lofts die meisten Produkte eine gute Figur ab. Dasselbe auf nur wenigen Quadratmetern zu erreichen, erfordert eine Mischung aus Phantasie, Pragmatismus und der entscheidenden Portion Spiel.

Wo wenig Platz ist, schlägt die Stunde der Verwandlungskünstler: Die einen reduzieren ihr Volumen durch Klapp-, Dreh- oder Faltmechanismen und treten nur dann in voller Größe in Erscheinung, wenn sie wirklich gebraucht werden. Die anderen kombinieren verschiedene Funktionen auf engstem Raum und sorgen mit ihrer gespaltenen Persönlichkeit für Synergieeffekte. Das Triumvirat der Wandelbaren bilden zwar nach wie vor der ausziehbare Esstisch, das Schlafsofa und der Klappstuhl. Doch auch sie können längst auf neue und frische Weise interpretiert werden.

Der Stuhl


Ein Allroundmöbel, das in Wohnzimmer, Küche und Garten gleichermaßen passt, ist der Klappstuhl Piana, den David Chipperfield für Alessi entworfen hat. Anstelle eines komplizierten Mechanismus’, bei dem man befürchten muss, sich die Finger einzuklemmen, rotieren Sitzfläche, Rückenlehne und Hinterbeine um lediglich eine Achse. Das Ergebnis: Der aus recycelfähigem Kunststoff hergestellte Stuhl verwandelt sich in eine flache Scheibe. „Die matte Oberfläche und taktilen Qualitäten des Polypropylen machen den Stuhl zugleich komfortabel und robust“, erklärt Chipperfield seinen Entwurf, der stehend wie liegend gestapelt werden kann.

Keinen Klappstuhl, sondern vielmehr einen „Faltstuhl“ ersann der australische Designer Adam Goodrum mit seinem Stich Chair für Cappellini. Sitzfläche, Rückenlehne sowie der tragende Unterbau sind in der Mitte halbiert und mit Scharnieren verbunden. Indem auch die Vorder- und Hinterbeine nach innen geklappt werden können, lässt sich der gesamte Stuhl zu einem kompakten Bündel zusammenfalten. Den Vorteil dieser Lösung offenbart die Ausführung als Barhocker. Als einziges Modell auf dem Markt lässt sich auch dieser zusammenfalten und platzsparend aufbewahren.

Der Tisch


Ausziehbare Tische gibt es wie Sand am Meer. Doch nur die allerwenigsten von ihnen lassen sich problemlos von einer Person bedienen. Wie es dennoch gelingt, zeigt der Tisch Flaye von Team 7. Der Entwurf des österreichischen Designers Jacob Strobel stellt seine Mechanik nicht offen zur Schau, sondern erweckt mit seinem Massivholz-Gestell eher den Eindruck eines statischen Möbels. Wird am Tischende gezogen, klappt ein doppelt patentierter Mechanismus zwei Einlegeplatten nach außen und verlängert die Tischplatte auf großzügige 3,25 Meter.

Unkonventionell ging die französische Designerin Philippine Lemaire ans Werk. Ihr Tisch Itisy für Ligne Roset lässt gängigen Produktkategorien verschmelzen, indem sich ein dekoratives Sideboard in einen Esstisch verwandeln kann. Wie das funktioniert? Ganz einfach: Die Tischplatte ist in vier runde Ablagen unterteilt, die mit einer unsichtbaren Mechanik verbunden sind. Auf diese Weise kann das Möbel in die Länge gezogen oder zu einer kompakten Einheit zusammengeschoben werden.

Der Sekretär


Wenn es ein Möbel gibt, das in den letzten Jahren ein Revival erlebt hat, dann ist es der gute alte Sekretär. Wie eine moderne Interpretation gelingt, zeigt die Pariser Designerin Philippine Dutto mit ihrem Sekretär La Secrète für Ligne Roset. Das Möbel ist so bemessen, dass ein 17-Zoll-Laptop genügend Platz findet, während die Kabel in einem kleinen Fach an der linken Seite des Möbels verstaut werden können. Die Besonderheit des Entwurfs bildet eine besonders tiefe Schublade an der rechten Seite. Im geschlossenen Zustand lassen sich Dinge in ihr verstauen, ohne die gesamte Schreibunterlage öffnen zu müssen.

Eine clevere Doppelnutzung zeigen Shay Alkalay und Yael Mer vom Londoner Designbüro Raw Edges. Ihre Deskbox für den niederländischen Möbelhersteller Arco hat es tatsächlich in sich. Erweckt das Möbel auf den ersten Blick den Eindruck einer an der Wand montierten Ablage, lässt es sich mit einem Handgriff in einen temporären Arbeitsplatz verwandeln. Das mit einem hölzernem Furnier verkleidete Vorderteil braucht lediglich nach vorne gezogen zu werden und senkt sich dabei automatisch ab. Im Inneren des Möbels kommt eine verborgene Schreibunterlage zum Vorschein, die sich mit dem abgesenkten Vorderteil zu einer ebenen Fläche verbindet. Fächer vervollständigen den Micro-Arbeitsplatz, der so schnell aus dem Blickfeld verschwinden kann, wie er in Erscheinung getreten ist.

Das Sofa

Eine Reminiszenz an die Wohnlandschaft der siebziger Jahre bringt das Living Bed von Joe Colombo ins Spiel. Der Entwurf aus dem Jahr 1971, der 2006 vom italienischen Möbelhersteller Bernini erstmals in Serienproduktion gefertigt wurde, wirkt wie eine Umkehrung des klassischen Klappbetts. Anstatt die Matratze mithilfe eines mehr oder weniger komplizierten Mechanismus an die Wand zu befördern, behält das Bett stets sichere Bodenhaftung. In Bewegung gerät stattdessen das hohe Betthaupt, dass sich mit einer simplen Drehbewegung nach unten klappen lässt und dann die Liegefläche bedeckt. Um das Bett als Ganzes zu verbergen, wird eine Bank über das Fußende geschoben, und fertig ist die freistehende Polsterinsel. So kann das Möbel im geschlossenen Zustand als Couch, Liegewiese oder Podest gleichermaßen dienen. Wohnzimmer und Schlafzimmer lassen sich auf diese Weise in einem Raum kombinieren. 

Kompakt und praktisch ist das modulare Polsterprogramm Mell, das Jehs+Laub für Cor entwickelt haben. Ohne Raum zu verschenken, lassen sich die Sessel und Sofas mit flachen Tischen verbinden. Damit der fließende Übergang gelingt, haben die Stuttgarter Designer die Polsterelemente mit filigranen Stahlgestellen über den Boden gehoben. Die Tische greifen die Höhe sowie die Längenmaße der Gestelle auf, sodass sie sich zu einem stimmigen Ensemble kombinieren lassen. Als  platzsparender Hybrid tritt auch das Party Sofa von Zanotta in Aktion. Das von Gabriele Rosa entworfene Polstermöbel kann nicht nur mit einem flachen Beistelltisch kombiniert werden, sondern auch mit einem Tisch in normaler Arbeits- oder Esshöhe. Der Vorteil dieser Lösung liegt auf der Hand: Da der Tisch an der Rückseite des Sofas platziert wird, kann dort gegessen, gearbeitet oder gelesen werden, ohne dafür einen eigenen Raum zu beanspruchen.

Der Schrank

In einer kleinen Wohnung ist Stauraum Trumpf. Mit passgenauen Einbaulösungen lassen sich Wände in ihrer gesamten Breite und Höhe ausnutzen, ohne wertvolle Ablageflächen zu verschenken. Das System Studimo, dass das Designbüro Team Form für Interlübke entworfen hat, kann neben Büchern auch Heimelektronik wie Fernseher und Audiosysteme aufnehmen. Damit diese nicht dauerhaft im Blickfeld verweilen, können sie durch verschiebbare Paneele verborgen werden und sorgen somit für ein aufgeräumten Eindruck. Darüber hinaus macht das System nicht nur in weiß, schwarz oder grau eine gute Figur, sondern kann mit einer Vielzahl von Farben auch grafische Akzente setzen.

Wer sich weniger stark an einen Ort binden will, ist mit dem Möbelbausystem Haller von USM auf der sicheren Seite. Flexibilität ist Trumpf bei diesem Baukasten, der sich endlos in die Höhe, Breite und Tiefe erweitern lässt. Stauraum lässt sich damit nicht nur entlang der Wände, sondern ebenso mit freistehenden Inseln erzeugen. Diese können als Raumteiler zum Einsatz kommen oder wie „Parasiten“ an die Rücken von Polstermöbeln angedockt werden. Von Vorteil ist die Offenheit des Systems. Nimmt der Platzbedarf zu, können die vorhandenen Möbel neu kombiniert oder mit zusätzlichen Bauteilen ergänzt werden.

Das Regal

Wie sich Stauraum an ungenutzten Orten gewinnen lässt, zeigen Ronan und Erwan Bouroullec mit ihren Corniches für Vitra. Wie Felsvorsprünge treten die kleinen Ablagen aus der Wand hervor und bieten Platz, wo sonst nur kahle Wand ist. Erhältlich in drei verschiedenen Größen, können die Module auf spielerische Weise kombiniert werden und machen die Schwere konventioneller Aufbewahrungsmöbel vergessen. Für Flexibilität sorgt ihre kompakte Größe. Zumal Dank ihrer abgerundeten Ecken und ihrer geringen Tiefe auch in engen Fluren niemand Gefahr läuft, sich an ihnen zu stoßen oder mit der Jacke hängen zu bleiben.

Eine eigenwillige Interpretation des Bücherregals haben Raw Edges für Lema vorgestellt. Booken heißt der Hybrid aus Sideboard und Regal, bei dem Bücher mit dem Rücken nach oben wie in eine Registratur eingehängt werden. Ist das Möbel mit Lesestoff gefüllt, entsteht eine durchgehende Ablage. Für diejenigen, die nur mit wenigen Büchern leben oder neue Literatur fast gänzlich als e-books erwerben, ist das Möbel eine praktische Alternative, um sich unnötiger Papierberge zu entledigen oder auf ein klassisches Bücherregal ganz zu verzichten. Schließlich gilt als Kür beim Einrichten einer kleinen Wohnung noch immer vor allem eines: das Weglassen.


Bisher in der Reihe erschienen:


Wohnratgeber Teil 1: Die flexible Wohnung

Wohnratgeber Teil 2: Garten und Terrasse
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Links

Wohnratgeber Teil 1

Die flexible Wohnung

www.designlines.de

Wohnratgeber Teil 2

Garten und Terrasse

www.designlines.de

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